Bürgerinitiative gegen Windenergieanlagen im Naturpark Arnsberger Wald

Das faktische Vogelschutzgebiet Arnsberger Wald

Verbreitungskarte Schwarzstörche in NRW

EU-Recht gebietet es, dass alle Mitgliedstaaten – in Deutschland sind die Bundesländer zuständig – , die für den Arterhalt zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete als Vogelschutzgebiete (VSG) ausweisen. Das bedeutendste Kriterium hierbei ist das TOP-5-Kriterium, das erfüllt ist, wenn ein Gebiet eines der fünf besten Gebiete für den Erhalt der jeweiligen Art darstellt. Die Auswahl und Abgrenzung dieser Gebiete hat auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erfolgen. Diese Schutzgebiete sind für eine Liste von besonders schutzwürdigen Arten umzusetzen. Zu diesen zählen im Offenland beispielsweise die Wiesenweihe, der Wachtelkönig und der Neuntöter sowie in Wäldern der Grau-, Mittel-, Schwarzspecht, der Wendehals, die Eulen Sperlingskauz und Raufußkauz sowie der heimlich lebende und somit schwer erfassbare Schwarzstorch mit sehr großen Raumansprüchen. Für letzteren kommen als Schutzgebiete idealerweise große Wälder in Betracht, die seinen Gesamtlebensraum aus Bruthabitaten, Nahrungshabitaten und Funktionsräumen umfassen. Aufgrund ähnlicher Habitatansprüche sind solche Schutzgebiete und -Maßnahmen auch den anderen genannten Altwaldarten förderlich. In Deutschland zählt NRW nach Bayern zu den Ländern mit den größten Schwarzstorchvorkommen, wobei der Arnsberger Wald eines der bundesweit bedeutendsten Gebiete darstellt. Das Land hat eine entsprechend große Verantwortung für den Erhalt dieser Art. Im Arnsberger Wald brüten derzeit 16-20 Brutpaare (BP). Das sind beachtliche 2% der deutschen-, 17% der NRW-Landespopulation und eine besonders hohe Siedlungsdichte von 5,1 BP pro 100 km² Waldfläche! Aber auch bei den anderen genannten Altwaldarten existieren deutliche Hinweise, dass der Arnsberger Wald für sie ein TOP-5-Gebiet darstellt!

Ein Nahrungshabitat des Schwarzstorchs in Warstein

Das NRW-Umweltministerium und das für das Vogelmonitoring originär zuständige LANUV räumten mittlerweile ein, dass ihnen zum Zeitpunkt der Ausweisung von VSG, also vor 2010, für den Landschaftsraum Arnsberger Wald überhaupt keine ausreichenden Daten vorlagen, um die Erfüllung der Kriterien beurteilen zu können. Statt ein entsprechendes Monitoring zu betreiben und sich eine geeignete Datengrundlage zu erarbeiten, unterstellte das LANUV schlichtweg eine prinzipiell gleichmäßige Verteilung des Schwarzstorches in Südwestfalen und fügte in ihren selbsterstellten Auswahlkriterien gleichzeitig den Passus ein, dass bei solchen, gleichmäßig verteilten Arten überhaupt keine Gebiete ausgewiesen werden. Da der Schwarzstorch aufgrund seiner Störungssensibilität eine Sperrart darstellt, konnte seither weder eine Kontrolle durch die Naturschutzverbände noch durch die EU stattfinden. Auch Naturschutzbehörden wie der Kreis Soest oder die Bezirksregierung sind aus diesem Grund informationsabhängig vom LANUV. Wenn sie das LANUV nach der Populationszahl im gesamten Arnsberger Wald fragten, wurde ihnen leider in drei nachweisbaren Fällen mit 4-5 Brutpaaren nur ein Bruchteil der tatsächlichen Populationszahl (14-16 BP, Stand 2016) genannt. Bezeichnend ist auch, dass NRW hinsichtlich des flächenmäßigen Anteils an VSG in der EU ein markantes Schlusslicht darstellt und mehrere einschlägige Vertragsverletzungsverfahren gegen dieses Land eingeleitet werden mussten.

Siedlungsdichte des Schwarzstorchs im bundesdeutschen Vergleich 2005-2009 (Arnsberger Wald rot eingekreist)

Im Gegensatz zum LANUV haben sich einige ehrenamtlich tätige Naturschützer und vor Ort tätige Horstbetreuer jedoch schon seit Jahren den notwendigen Überblick verschafft. Über die Gründe, die das LANUV zu den o.a., unkonventionellen Vorgehens- und Betrachtungsweisen veranlasst haben mögen, soll hier nicht spekuliert werden. Der renommierte Ornithologen-Dachverband DDA attestierte jedenfalls am 25.11.2020 die Schwarzstorchvorkommen im Arnsberger Wald für die vier Messtischblätter TK 4514 bis 4517 mit jeweils 4 bzw. 5 Brutpaaren: „Aus Sicht des DDA gibt es keinen Grund, an der Richtigkeit der von N.N. gemeldeten und bestätigten Bestandsdaten des Schwarzstorchs für die vier aufgeführten TKs im Arnsberger Wald im Zeitraum 2005-2009 zu zweifeln. Wir werden die Bestandsangaben in unseren Datenbestand übernehmen und für zukünftige Auswertungen und Darstellungen nutzen.“

Wenn nach EU-Recht die Kriterien zur Ausweisung eines VSG erfüllt sind, wird dieses Gebiet automatisch zu einem „faktischen VSG“. Die Grenzen eines solchen Gebietes, das zum Schutzgebiet erklärt werden muss, bestimmen sich ausschließlich anhand naturschutzfachlicher Kriterien und nicht etwa an administrativen Grenzen. Gerichtsurteile bestätigen, dass sich ein Mitgliedstaat keinen Vorteil aus der Nicht-Umsetzung des EU-Rechts ziehen darf. Solange ein solches Gebiet nicht als EU-VSG ausgewiesen ist, besteht eine Art Änderungssperre, um eine an ornithologisch-fachlichen Kriterien ausgerichtete Gebietsausweisung offenzuhalten und diese nicht durch vorangehende beeinträchtigende Planungen unrealistisch werden zu lassen.

Schwarzstorchnachwuchs im Arnsberger Wald

Jetzt in den Jahren 2021 und 2022, nachdem ehrenamtlich, nach wissenschaftlichen Methoden arbeitende Ornithologen ihre jahrelang gewonnenen Erkenntnisse zur Verfügung gestellt haben, nimmt das Umweltministerium im Arnsberger Wald zusätzliche Kartierungen vor. Ergebnisse sollen jedoch erst bis 2022 vorliegen und zusammen mit anderen bestehenden Gutachten, welche z.B. in den letzten Jahren im Kontext von Windenergieplanungen erstellt wurden, Einschätzungen ermöglichen, ob der gesamte Arnsberger Wald oder Teile darin die Kriterien für ein VSG erfüllen. Diese, insbesondere für Planungs- und Genehmigungsverfahren von Windenergievorhaben wesentliche Information wurde jedoch anscheinend nicht an die betroffenen Kreise SO und HSK weitergeleitet. Zumindest dem HSK lagen bis zum 1.2.22 keine derartigen Mitteilungen von LANUV oder MULNV vor. Erste Zwischenauswertungen wurden für das Jahresende 2021 lediglich angekündigt, jedoch nicht kommuniziert. Der Verein für Natur- und Vogelschutz im HSK e.V. sah bereits bei der Vorgehensweise des LANUV im VSG „Diemel- und Hoppecketal“ ein Verlassen des „Pfades der naturschutzfachlichen Tugend“, da sich bei der Gebietsermittlung nachgewiesenermaßen die Flächen „nicht ausreichend an den Vorkommen (…) orientierten“. Er kritisierte des Weiteren, dass der dortige LANUV-Gebietsvorschlag „in weiten Teilen aus schon bestehenden Naturschutz- und FFH-Gebieten besteht“ [Irrgeister, Sonderheft Vogelschutzgebiet; S. 44-45; 2021]. Nach geltendem EU-Recht ist jedoch bei der Auswahl und Abgrenzung der zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete nach rein ornithologischen Gesichtspunkten vorzugehen. Ankündigungen des Umweltministeriums, lediglich in den FFH-Gebieten „Arnsberger Wald“ (ein nur rund 80 km² kleines Teilgebiet), „Hamorsbruch und Quellbäche“ sowie im östlich angrenzenden Staatswald die Kartierungen vorzunehmen, lassen befürchten, dass diese zweifelhafte, nicht ergebnisoffene Vorgehensweise auch im Arnsberger Wald praktiziert werden soll. Es ist zudem zu befürchten, dass diese zusätzlichen Erfassungen andauern, während gleichzeitig in diesem konfliktträchtigen Gebiet Genehmigungen für Windparks, wie der am Rennweg, ausgesprochen werden. Ob die Gesamtschau dieser zweifellos eigenwilligen behördlichen Vorgänge Zufall ist oder darin ein planvolles Taktieren zu sehen ist, darüber soll hier nicht spekuliert werden.

Ein Schwarzstorch im Arnsberger Wald

Verfügt ein Mitgliedstaat über eine derart stabile Erkenntnisgrundlage, die der DDA im Nachhinein mit dem Datenbeständen mehrerer Jahre bereits für die Zeit der Ausweisung der VSG bereitstellt hat, kann sich der Staat nicht seiner Pflicht zur Ausweisung des Gebietes mit dem Hinweis entziehen, dass er zur endgültigen Festlegung der Grenzen erst noch weitere Untersuchungen durchführen muss. Wenn nach EU-Recht die Kriterien zur Ausweisung eines VSG erfüllt sind, wird dieses Gebiet automatisch „faktisches VSG“. Zu der Tatsache, dass der Arnsberger Wald ein solches faktisches VSG darstellt, ist gleichermaßen, wie der Klimawandel menschengemacht ist, weder ein Zugeständnis des Umweltministeriums noch eines des LANUV notwendig, jedoch wäre dies für alle Betroffenen hilfreich, fair, zeit- und ressourcensparend! Aufgrund der vorgenannten Ausführungen bestehen deutliche Hinweise, dass diese beiden Behörden unzulässige Abwägungen mit nicht-ornithologischen Belangen bei Auswahl und Abgrenzung von VSG praktizieren.

Der Landschaftsraum Arnsberger Wald zwischen Ruhr und Möhne mit seinem östlichen Ausläufer, dem Ringelsteiner Wald bis zur Alme stellt auch ohne Einvernehmen des Umweltministeriums bereits jetzt ein faktisches VSG dar, vgl. auch > diesen Antrag und seine detaillierte Begründung. Bereits in ihrer Stellungnahme zum FNP Warstein haben dies auch die anerkannten Verbände LNU und NABU so eingeschätzt.

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> Der Arnsberger Wald